Seit Beginn des Ukrainekriegs am 24. Februar 2022 sind über 7 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer in europäische Länder geflohen. Schätzungen zufolge sind die Hälfte davon Kinder. Die Bildungssysteme der Aufnahmeländer stehen jetzt vor der zusätzlichen Aufgabe, Räume und Bedingungen zu schaffen, die es diesen neu angekommenen Kindern ermöglichen, zu lernen und sich gut zu entwickeln. Obwohl der Zustrom von Geflüchteten in die EU kein neues Phänomen darstellt, sind noch nie zuvor innerhalb so kurzer Zeit so viele Kinder und Erwachsene aufgenommen worden wie jetzt aus der Ukraine. Vor diesem Hintergrund stehen die EU-Mitgliedstaaten vor der Herausforderung, Kinder aus einem anderen Land möglichst schnell zu integrieren, ihre speziellen Bedürfnisse zu berücksichtigen und sie bei der Eingewöhnung in einem neuen Umfeld zu unterstützen. Außerdem brauchen diese Kinder Hilfe, damit sie eine neue Sprache lernen können, ohne ihre Muttersprache zu verlernen.
Ein besonderes Merkmal der aktuellen Flüchtlingskrise ist die frühe Entscheidung der Europäischen Union, die Massenzustrom-Richtlinie zu aktivieren, sodass die Millionen Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind, vorübergehenden Schutz und das Recht auf eine harmonisierte Behandlung erhalten. Die EU-Länder gewähren Minderjährigen, die vorübergehenden Schutz genießen, zu denselben Bedingungen Zugang zu ihrem Bildungssystem wie ihren eigenen Staatsbürgern und EU Bürgern. Nach der Aktivierung der Richtlinie am 4. März hat die Zahl der Neuankömmlinge stark zugenommen, wobei ukrainische Staatsbürger sich frei innerhalb der EU bzw. des Schengen-Raums bewegen können. Seither haben mehr als 4 Millionen Geflüchtete aus der Ukraine in Europa vorübergehenden Schutz oder einen ähnlichen einzelstaatlichen Schutzstatus beantragt. In dieser Lage müssen sich die Gastländer, sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU, verstärkt abstimmen, um Lernende – aber auch Lehrkräfte und Pädagoginnen und Pädagogen aus der Ukraine – zu unterstützen und in die nationalen Bildungssysteme zu integrieren. Dazu gehören vorübergehende Maßnahmen zur Eingliederung der Lernenden in das reguläre Bildungssystem, Anpassungen in Bezug auf Unterrichtssprache und -inhalte, psychologische Unterstützung und die Ausbildung und Anerkennung von Lehrkräften. Hinzu kommen praktische Fragen der Verwaltung, Registrierung, Anerkennung und Finanzierung.
Der neue NESET-Bericht „Maßnahmen zur Förderung des Spracherwerbs bei Kindern, die vor kurzem als MigrantInnen oder Geflüchtete angekommen sind“ soll einen (unvollständigen) Überblick über neue Praktiken bieten, die speziell für die sprachlichen Bedürfnisse von aus der Ukraine und anderen Ländern geflüchteten Kindern entwickelt wurden. Des Weiteren werden erprobte pädagogische Ansätze für den Sprachunterricht dokumentiert, die mit gewissen Anpassungen ebenfalls die Integration ukrainischer Kinder und anderer Geflüchteter fördern können. Schließlich behandelt der Bericht einige systemische Voraussetzungen für den langfristigen Aufbau eines sprachlich inklusiven Schulsystems, das die individuelle sprachliche Entwicklung aller Kinder unabhängig von der Muttersprache begrüßt und unterstützt, d. h. auch aller Lernenden mit Flucht- und Migrationshintergrund, die wird in Zukunft bei uns aufnehmen werden.
Autorin des Berichts ist die stellvertretende wissenschaftliche Koordinatorin des Netzwerks NESET Hanna Siarova.
Der vollständige Bericht kann in unserer Bibliothek abgerufen werden.