Obwohl bereits wichtige Erfolge erzielt wurden, gehören die Chancenungleichheit von Mädchen und Jungen und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität weiterhin zu den ungelösten Problemen der europäischen Bildungssysteme. In allen Ebenen und Sektoren des Bildungssystems unterscheiden sich männliche und weibliche Schüler weiterhin in Bezug auf die schulische Leistung, die bevorzugten Fächer und die zugeschriebenen Geschlechterrollen. Fast alle LGBT-Schüler erleben Mobbing und Diskriminierung in Bildungseinrichtungen, wobei viele Auswirkungen dieses Problems noch nicht identifiziert und kaum erforscht sind.
Die Forschungsdaten zeigen in der gesamten EU eine durchgehende geschlechtsspezifische Diskrepanz bei Leistung, Auswahl von Fächern und Beteiligung am Unterricht. In fast allen europäischen Ländern brechen Jungen häufiger die Schule ab und bleiben häufiger sitzen als Mädchen. Mädchen sind besser im Lesen und Jungen sind besser in Mathematik. Dabei sind die Leistungsunterschiede innerhalb der männlichen Schülerschaft größer als zwischen Jungen und Mädchen [1]. Die Forschung zeigt außerdem, dass diese Unterschiede nicht nur vom Geschlecht abhängen, sondern auch von der sozialen Herkunft und dem sozioökonomischen Status [1]. In Bezug auf die Bildungsformen sind junge Männer in berufsbildenden Schulen stärker vertreten als junge Frauen, insbesondere in technischen Berufen und im Handwerk. Mädchen entscheiden sich häufiger für die Geisteswissenschaften und für künstlerische und soziale Berufe[1][2]. Auch beim Lehrberuf gibt es ein geschlechterspezifisches Gefälle, wobei Führungs- und Machtpositionen in Bildungseinrichtungen vorwiegend von Männern besetzt werden, das Lehren an sich aber eher als weiblicher Beruf gilt[3]. So sind beispielsweise an europäischen Primarschulen acht von zehn Lehrkräfte Frauen, aber nur die Hälfte der Schulleiter[4].
In den letzten Jahren hat die Akzeptanz unterschiedlicher sexueller Orientierungen zugenommen und in vielen Bereichen wird versucht, lesbische, schwule, bisexuelle und transidentische Lebensentwürfe stärker anzuerkennen. Viele EU-Länder haben umfassende Rechtsvorschriften erlassen, die die Gleichberechtigung garantieren und LGBT-Personen vor Diskriminierung und Viktimisierung schützen[5]. Die Schule ist ein wichtiger sozialer Raum, in dem Wahrnehmungen und Einstellungen geprägt und Verhaltensmuster erlernt, übernommen und gefestigt werden. Daher kann sie die Akzeptanz unterschiedlicher sexueller Identitäten entscheidend beeinflussen. Dennoch ist Mobbing auf der Grundlage homophober Einstellungen in den europäischen Bildungssystemen immer noch weit verbreitet. Überall in der EU nehmen die Schulbehörden Mobbing von LGBT-Schülern zu wenig ernst, und den meisten Lehrpersonen fehlen Mittel und Anreize, um gegen das Problem anzugehen[6].
Auch werden die Lehrpersonen in ihrer Ausbildung nicht ausreichend auf den Umgang mit Geschlechterstereotypen und die Förderung von Vielfalt vorbereitet[1]. Stereotype Einstellungen von Eltern, Gleichaltrigen und Lehrern tragen meist dazu bei, Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Ausrichtung zu verfestigen. Schüler_innen und Lehrer_innen bringen die kulturellen Werte ihres Umfelds in die Schule mit ein und bilden so geschlechtsbezogene Vorurteile der Gesellschaft im Bildungssystem nach.
Die Bildungspolitik der EU-Länder kann entscheidend dazu beitragen, junge Menschen beim Thema Gleichstellung von Frauen und Männern zu sensibilisieren, die Akzeptanz unterschiedlicher sexueller Identitäten zu fördern und Geschlechterstereotypen und geschlechterbezogene Gewalt frühzeitig zu bekämpfen. Die EU und die Mitgliedstaaten sollten Normen für die Gleichstellung von Frauen und Männern entwickeln und durchsetzen[1]. Für den gesellschaftlichen Wandel sind aber auch die Einstellungen der Lehrpersonen und deren Ausbilder wichtig. Gleichstellungsthemen sollten sowohl im Lehramtsstudium als auch in der Lehrerfortbildung berücksichtigt werden[1]. Die Akzeptanz der Geschlechtergleichstellung und aller sexuellen Identitäten muss ein wichtiges Element im Lehrplan werden, und Lehrer müssen in ihrer Ausbildung darauf vorbereitet werden, über die Themen Geschlechteridentität und Sexualität zu unterrichten. Stereotype Einstellungen und Werte müssen aber auch außerhalb der Schule in Frage gestellt werden. Daher sind eine Gleichstellungsaufklärung für Eltern und Schüler auf allen Bildungsstufen sowie interne Richtlinien für die Gleichstellung der Geschlechter im schulischen Umfeld absolut unverzichtbar[2].